10 Schreibstrategien
Für den Schreibprozess selbst gibt es nicht direkt eine spezifische Herangehensweise. Nichtsdestotrotz kann es hilfreich sein systematisch vorzugehen. Im Folgenden werden einige Strategien aufgeführt, die beim Verfassen von wissenschaftlichen Texten und Texten im Allgemeinen hilfreich sein können. Abschliessend geht das Kapitel auf eine «Schreibstrategie» ein, die es unbedingt zu vermeiden gilt: Plagiarismus.
10.1 Zielpublikum
Bevor man mit Schreiben beginnt, macht es Sinn, sich folgende Frage zu beantworten: Wer ist das Zielpublikum? Diese Frage hilft bei der Entscheidung, welches Wissen bei den Lesern und Leserinnen vorausgesetzt werden kann. Diese Frage sollte während dem Schreiben immer wieder gestellt werden — zum ersten Mal bevor mit dem Schreiben begonnen wird, bis zum Ende allfälliger Revisionen eines Textes. Als Faustregel gilt, einen Text immer so zu verfassen, dass er von einem Zielpublikum mit einem Spezialisierungsgrad weniger als dem des Verfassers bzw. der Verfasserin des Textes, verstanden wird. Das heisst, eine Forschungsarbeit der von experimentell arbeitenden Psychologen und Psychologinnen geschrieben wird, sollte so verfasst sein, dass er grundsätzlich von allen Psychologen und Psychologinnen ohne weitere Probleme verstanden wird.
Beim wissenschaftlichen Schreiben sollte darauf geachtet werden, komplexe Sachverhalte so einfach und verständlich wie möglich auszudrücken. Der Gebrauch kurzer Hauptsätze ohne Nebensätze hilft dabei, komplexe Sachverhalte direkt ohne Umschweife auszudrücken.
Texte werden immer für ein Zielpublikum verfasst. Texte werden nicht für betreuende Personen verfasst, welche sich in den relevanten Fachgebieten zumeist besser auskennen!
10.2 Struktur und Inhalt
Im vorangehenden Kapitel wurde bereits auf die strukturellen und inhaltlichen Richtlinien eingegangen. Dieses Wissen sollte man sich zunutze machen, um die inhaltliche Struktur eines Manuskripts oder anderen Texts vor dem Schreiben festzulegen. Im Folgenden haben werden diese Richtlinien mit spezifischen Fragen verknüpft. Das schriftliche Beantworten dieser Fragen vor dem Schreiben, hilft eine sinnvolle Struktur für eine wissenschaftliches Manuskript zu etablieren.
Das Anfertigen einer schematischen Darstellung der inhaltlichen Struktur eines Textes hilft, die Umsetzbarkeit des Vorhabens zu erkennen. Auf diese Weise lässt sich überprüfen, ob die geplante Struktur sinnvoll und realisierbar ist.
10.2.1 Einleitung
- Einleitender Absatz:
- Wie kann das Interesse der Leserin oder des Lesers geweckt werden? Häufig wird dies anhand der Definition eines interessanten Phänomens, eines Beispiels oder einer allgemeinen Aussage gemacht.
- Welche Hauptkonzepte müssen definiert werden, um die Forschungsfrage zu verstehen?
- Was ist im Rahmen der Hauptkonzepte bereits bekannt?
- Wo besteht noch Forschungsbedarf? Worin besteht die Forschungslücke?
- Was ist die Forschungsfrage, mit welcher die Forschungslücke geschlossen werden soll? Häufig ist es hilfreich, die Forschungsfrage als Erstes zu formulieren. Dann sollte klarer werden, welche Hauptkonzepte definiert werden müssen.
- Integration und Synthese der Befundlage:
- Welche Themen sind für die Forschungsfrage relevant und müssen demzufolge behandelt werden?
- In welcher Reihenfolge müssen die unterschiedlichen Themen präsentiert werden, um eine klare und logische Struktur zu erhalten? Nach der Beantwortung dieser Frage, kann man sich mit den einzelnen Absätzen auseinander setzen:
- Erster Absatz: Welches Thema soll behandelt werden? Der Themensatz wird dazu verfasst.
- Zweiter Absatz: Welches Thema soll dann behandelt werden? Der Themensatz wird dazu verfasst.
- …
In der Einleitung werden nur Informationen eingeführt, die auch tatsächlich für die Forschungsfrage relevant sind. Dies bereitet oft gerade bei der «Integration und Synthese der Befundlage» Schwierigkeiten. Entsprechend gilt es an dieser Stelle besonders darauf zu achten.
- Ausführliche Darstellung der Forschungslücke:
- Worin genau besteht die Forschungslücke? Nachdem im einleitenden Absatz die Forschungsfrage etabliert wurde, liefert die Integration und Synthese der Befundlage auch eine detaillierte Beschreibung der Forschungslücke. Wo steht die Forschung im Moment? Welche Fragen sind im Forschungsfeld beantwortet? Welche Frage/n, die im Manuskript beantwortet werden sollen, ist / sind noch offen?
- Nachdem die Forschungslücke detailliert beschrieben wurde, wird ein Lösungsansatz vorgeschlagen. Dies wird gemacht, indem beschrieben wird, wie das vorliegende Experiment die beschriebene Forschungslücke schliesst.
- Hypothesen:
- Wie lauten die Hypothesen? In anderen Worten: Was sind auf Grund der zuvor präsentierten Literatur die logischen Voraussagen? Wenn diese Frage bereits vor dem eigentlichen Schreiben der Einleitung gestellt wird, dann sollte automatisch ersichtlich werden, welche Informationen in die Einleitung müssen, damit die Hypothesen davon abgleitet werden können.
10.2.2 Methode
- Versuchspersonen:
- Wie viele Versuchspersonen wurden getestet? Welche demographischen Informationen wurden erhoben? Welche davon werden standardmässig in vergleichbaren Artikeln beschrieben? Welche davon sind zusätzlich für die Forschungsfrage relevant?
- Material:
- Was gehört zum Material?
- Wurden Verben gebraucht, die Zustände beschreiben?
- Prozedur:
- Was gehört zur Prozedur?
- Wurden Verben gebraucht, die Handlungen beschreiben?
- Design:
- Was ist nötig, um das Design komplett zu beschreiben? Das Design besteht aus unabhängigen und abhängigen Variablen. Wurden diese genannt? Wurden alle Stufen der unabhängigen Variablen genannt? Wurde bei den einzelnen Variablen berichtet, ob es sich um Innersubjekt- oder Zwischensubjekt-Faktoren handelt? Wurde dementsprechend das Design als gemischtes, Innersubjekt- oder Zwischensubjekt-Design berichtet?
- Analyse:
- Wurden die einzelnen Bearbeitungsschritte bei der Datenaufbereitung so berichtet, dass eine andere Person auf die gleichen Resultate kommen würde, wenn sie die Bearbeitungsschritte ausgehend von den Rohdaten durchführt?
10.2.3 Resultate
- Hauptanalysen:
- Was ist / sind die Hauptanalyse/n zur Beantwortung der Forschungsfrage?
- Wie wird / werden die Hauptanalyse/n in deskriptiver Form am besten dargestellt / berichtet (z.B. Abbildung, Tabelle, oder im Text)?
- Explorative Analysen:
- Was für weitere Analysen könnten noch relevant sein? Sind die Analysen zur Beantwortung der Forschungsfrage relevant? Wenn die Antwort nein ist, sollte grundsätzlich überlegt werden, ob diese Analysen nötig sind. Wurden diese Analysen im Voraus geplant? Wenn dies nicht der Fall ist, sollten diese Analysen als explorative Analysen deklariert werden.
- Wie soll die deskriptive Statistik zu den explorativen Analysen berichtet werden? Wie die Inferenzstatistik?
10.2.4 Diskussion
- Zusammenfassung der Resultate (erster Absatz der Diskussion):
- Was ist gemäss Forschungsfrage der wichtigste Befund? Gibt es sonst noch interessante Befunde?
- Integration der Befunde mit den bisherigen Forschungsresultaten:
- Zweiter Absatz: Was bedeuten diese Befunde hinsichtlich der Forschungsfrage und Hypothesen?
- Dritter Absatz: Was bedeuten diese Befunde hinsichtlich der Datenlage zu X in der Einleitung?
- Vierter Absatz: Was bedeuten diese Befunde hinsichtlich der Datenlage zu Y in der Einleitung?
- …
- Limitationen:
- Gibt es Limitationen? Macht es überhaupt Sinn die Limitationen aufzuführen? Limitationen sollen nur aufgeführt werden, wenn Zusatzanalysen die Limitationen nicht aus dem Weg räumen können. Sollten Zusatzanalysen allfällige Limitationen erfassen können, sollen entsprechende Analysen in jedem Fall durchgeführt werden. ABER: Diese Analysen müssen im Resultate-Teil berichtet werden.
- Schluss bzw. Erkenntnisgewinn (letzter Absatz der Diskussion):
- Wie wird der Hauptbefund zu Beginn des letzten Absatzes am besten nochmals kurz und prägnant wiederholt? Was kann aus den Befunden des durchgeführten Experiments / der durchgeführten Experimente geschlossen werden?
10.3 Weitere Schreibstrategien
Einige weitere Schreibstrategien beruhen vor allem auf individuellen Präferenzen. Jede Person muss für sich herausfinden, was am besten funktioniert. Auf einige weitere Strategien wird im Folgenden kurz eingegangen. Es gibt aber sicher noch weitere individuelle Strategien.
10.3.1 Lesen
Die beste Schreibstrategie ist lesen, lesen, lesen… Lesen hilft, aus einer praktischen Perspektive heraus die Struktur und den Inhalt eines Manuskriptes zu verstehen. Wie haben es andere Autorinnen und Autoren gemacht? Wurden einzelne Dinge gut oder schlecht gelöst? Man darf sich von publizierten Artikeln inspirieren lassen. Sich-inspirieren-lassen bedeutet aber nicht, dass Plagiarismus betrieben werden soll.
10.3.2 Erste Schritte
Es lohnt sich in einem ersten Schritt so viele Ideen, Gedanken, Beispiele und auch schon konkrete Formulierungen wie möglich zu sammeln. Von den gesammelten Elementen können dann diejenigen ausgewählt werden, welche für die Forschungsfrage relevant sind und den Qualitätsansprüchen an eine wissenschaftliche Arbeit genügen. Wenn die Hauptpunkte (z.B. der Einleitung) klar sind, kann die Argumentationslinie skizziert werden (z.B. in Form eines Baudiagramms). Ein solches Vorgehen kann helfen, die Kohärenz der Argumentationslinie zu überprüfen. Die genannten Schritte können alleine oder in der Gruppe durchgeführt werden. Grundsätzlich ist das Vorgehen in Gruppen erfolgsversprechender. Dabei kann eine Person erklären, wie sie den Text schreiben würde. Die Reaktion der anderen Gruppenmitglieder kann helfen, allfällige Schwachstellen zu identifizieren.
10.3.3 Reihenfolge
Auch wenn ein Manuskript nach einer festgelegten Reihenfolge organisiert ist (Einleitung, Methode, Resultate, Diskussion), heisst das keineswegs, dass das Manuskript auch in dieser Reihenfolge verfasst werden muss. So kann man zum Beispiel bereits mit dem Methodenteil beginnen, während man zusätzliche Literatur für die Einleitung sucht. Solange die Daten noch nicht vollständig erhoben wurden, können Platzhalter für Informationen wie zum Beispiel die Anzahl der getesteten Versuchspersonen und deren demographische Angaben verwendet werden
10.3.4 Tageszeit
Jeder bzw. jede soll herausfinden, wann er bzw. sie am besten schreiben kann. Diese optimale Tageszeit kann auch mit den zu schreibenden Inhalten variieren. Eher technische Teile wie der Methoden- und Resultate-Teil sind eventuell weniger von der Tageszeit abhängig als kreativere Teile wie die Einleitung und Diskussion.
Oftmals ist es bei Schreibarbeiten auch hilfreich, jeden Tag zu schreiben, anstatt nur einmal in der Woche. Auf diese Weise bleibt man kontinuierlich im Thema drin.
10.4 Plagiarismus: Keine valide Strategie
Plagiarismus definiert sich durch das Kopieren und die Verwendung wissenschaftlicher Texte oder Ideen / Methoden, ohne auf die entsprechenden Quellen zu verweisen. Plagiarismus gehört zu den gravierendsten Fehlverhalten im Zusammenhang mit wissenschaftlichem Schreiben. Da wissenschaftliche Texte und die Ideen dahinter geistiges Eigentum des ursprünglichen Verfassers sind, handelt es sich bei Plagiarismus um Diebstahl geistigen Eigentums. Im Folgenden werden verschiedene Formen von Plagiarismus behandelt.1
Kopieren und Einfügen Plagiat: Um ein Kopieren und Einfügen Plagiat handelt sich, wenn fremde Arbeiten oder Teile daraus eins-zu-eins kopiert werden, ohne diese korrekt mit einer Referenzangabe zu zitieren. Um ein Kopieren und Einfügen Plagiat zu verhindern, muss jeder kopierte Teil einer Arbeit korrekt inklusive Seitenangabe referenziert werden.
Ideenplagiat: Um ein Ideenplagiat handelt es sich, wenn eine fremde Idee oder ein Teil davon übernommen wird, ohne die entsprechende Referenz anzugeben. Die Quelle muss auch referenziert werden, wenn aufbauend auf einer fremden Arbeit eine eigene Idee entwickelt wird, um ein Ideenplagiat zu verhindern.
Strukturplagiat: Um ein Strukturplagiat handelt es sich, wenn der strukturelle Aufbau einer fremden Arbeit oder Teilen davon ohne Verweis darauf übernommen wird (z.B. wenn die eigene Arbeit nach dem Inhaltsverzeichnis einer anderen Arbeit aufgebaut wird). Ein einfacher Satz wie «Die vorliegende Arbeit orientiert sich in ihrer Struktur an …» schafft die nötige Transparenz und verhindert ein Plagiat. Es ist zu beachten, dass es sich auch um ein Plagiat handeln kann, wenn die Struktur einer fremden Arbeit nicht komplett übernommen, sondern sich lediglich als Orientierung genutzt wird.
Übersetzungsplagiat: Um ein Übersetzungsplagiat handelt es sich, wenn eine fremde Arbeit oder Teile daraus in einer anderen Sprache ohne entsprechende Angabe und Referenz verwendet werden. Die Angabe der Referenz mit einem Zusatz wie zum Beispiel «aus dem Englischen übersetzt von Petra Mustermann» genügt, um ein Plagiat zu vermeiden. Eine korrekt nach APA zitierte Übersetzung gibt auch das Original wieder.
Selbstplagiat: Das Selbstplagiat ist eine umstrittene Form des Plagiats. Wie oben beschrieben, gilt das Verwenden von fremdem geistigem Eigentum ohne Quellenangabe als Plagiat. Nichtsdestotrotz kann die Verwendung eigener Arbeiten oder Teilen davon in einem anderen Kontext als Plagiat betrachtet werden, wenn diese nicht ordentlich zitiert bzw. referenziert werden. Um kein unnötiges Risiko einzugehen, empfiehlt sich korrektes Zitieren / Referenzieren immer auch bei eigenen Arbeiten.
Vollplagiat: Um ein Vollplagiat handelt es sich, wenn eine fremde Arbeit als eigene Arbeit abegeben oder andersweitig verwendet wird. Bei Vollplagiat handelt es sich um eine schwerwiegende Form von Plagiarismus.
Ghostwriting: Um Ghostwriting handelt es sich, wenn jemand anders eine Arbeit schreibt, die dann als eigene Arbeit ausgegeben wird. Ghostwriting ist auch eine schwerwiegende Form von Plagiarismus.
Hier sind zwei Punkte zu beachten. Erstens sind Plagiate auch dann Plagiate, wenn sie nicht beabsichtigt waren. Dementsprechend ist eine sorgfältige Arbeitsweise unerlässlich. Zweitens handelt es sich nicht nur um Plagiate, wenn fremde Textstellen ohne Quellenangabe verwendet werden, sondern auch wenn andere Materialien, wie Inhalte aus Vorträgen, Vorlesungsunterlagen, Bildern, Tonaufnahmen, Videoaufnahmen usw. ohne Quellenangaben kopiert werden.
Plagiarismus ist ein wissenschaftliches Fehlverhalten beim Schreiben. Die möglichen Folgen sind dieselben wie bei wissenschaftlichem Fehlverhalten im Umgang mit Daten.
10.4.1 Wie kann Plagiarismus aktiv vermieden werden?
Plagiarismus kann aktiv vermieden werden, indem präzise und sorgfältig gearbeitet und transparent und offen kommuniziert wird. Damit dies erreicht wird, bedarf es folgender Punkte:
Systematische Literatursuche: Eine sorgfältige, systematisch durchgeführte Literatursuche ist eine Vorbedingung für eine präzise und transparente Dokumentation. Nur wenn die bisherige Forschung zur untersuchten Thematik systematisch aufgearbeitet wurde, kann die eigene Studie präzise in die dazu bestehende Literatur eingeordnet werden.
Präzision und Transparenz bei der Referenzierung der Quellen: Zur ehrlichen Manuskriptgestaltung gehört auch, dass fremde intellektuelle Leistungen rechtmässig als solche anerkannt und ausgewiesen werden (d.h. korrektes Zitieren von Quellen). Fremde intellektuelle Leistungen dürfen dementsprechend nicht als eigenständige Leistungen dargestellt werden (d.h. Weglassen von Quellenangaben).
Präzision bei der sprachlichen Ausdrucksweise: Ein massgeblicher Anteil an der transparenten und präzisen Manuskriptgestaltung fällt zudem der verwendeten Sprache zu. Wissenschaftliche Manuskriptgestaltung soll objektiv und ehrlich sein.
Verzerrungsfreier SprachgebrauchTransparentes und präzises Schreiben erfordert auch einen verzerrungsfreien Sprachgebrauch (bias-free language). Dies bedeutet, dass die Wörter in einem angemessenem Zusammenhang gebraucht werden sollen. Zum Beispiel muss man bei einem verzerrungsfreien Sprachgebrauch beachten, dass «sagen» und «behaupten» unterschiedliche Bedeutungen haben.
Ein umfassender Überblick zum Thema Plagiarismus wird unter https://www.mentorium.de/plagiat/ verfügbar. Die Webseite war auch eine Quelle für das vorliegende Kapitel.↩︎