2 Forschungsprozess
Wie im vorherigen Kapitel erläutert, besteht wissenschaftliches Arbeiten und Kommunizieren aus unterschiedlichen Aspekten, wie zum Beispiel der Bearbeitung der Literatur, der Datenerhebung, der Datenanalyse, dem Schreiben von Manuskripten und dem Präsentieren des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns in Form eines Vortrags oder Posters. Auch wenn diese Aspekte auf den ersten Blick sehr unterschiedlich sind, sind sie alle Teile des Forschungsprozesses. Deswegen gehen wir in diesem Kapitel auf den Forschungsprozess als Ganzes ein. Die einzelnen Aspekte des wissenschaftlichen Arbeitens (d.h. Verarbeitung der Literatur, Datenerhebung und Datenanalyse) und Kommunizierens (Manuskript, Vortrag und Poster) werden in den nachfolgenden Kapiteln im Detail behandelt.
Grundsätzlich kann Forschung als Kreislauf im Sinne eines iterativen Prozesses verstanden werden (siehe Abbildung 2.1). Dabei wird angestrebt, neue Erkenntnisse zu gewinnen, indem in einem bestimmten Forschungsbereich eine Wissenslücke identifiziert und geschlossen wird. Eine sogenannte Forschungslücke wird typischerweise mit einer sorgfältigen und systematischen Literaturrecherche bestimmt. Die Aufdeckung der Forschungslücke resultiert in der Formulierung von bisher nicht oder unvollständig beantworteten Fragen (sog. Forschungsfragen).

Im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen werden Forschungsfragen in Form von Studien untersucht. Der erste Schritt für die Durchführung einer Studie ist, die für die Forschungsfrage relevante Literatur so zu integrieren und synthetisieren, dass Hypothesen abgeleitet werden können. In diesem Sinn stellen die Hypothesen mögliche Befunde der Studie dar, welche aus der Synthese des relevanten Wissens im Hinblick auf die Forschungsfrage resultieren.
Der beschriebene Kreislauf kann sich auf verschiedenen Ebenen abspielen. Zum Beispiel auf der Ebene von Experimenten, auf der Ebene von Studien, welche mehrere Experimente beinhalten oder auf der Ebene von Forschungsprojekten, welche mehrere Studien mit jeweils mehreren Experimenten beinhalten.
Die Forschungsfrage ist zentral für den Forschungsprozess. Erstens bestimmt sie, welcher Teil der gesichteten Literatur für die Formulierung der Hypothesen und somit auch für die Dokumentation einer Studie relevant ist. Zweitens bestimmt die Forschungsfrage den möglichen Erkenntnisgewinn einer Studie, da die Beantwortung der Forschungsfrage den Erkenntnisgewinn determiniert.
Die Methode beschreibt die Operationalisierung der Forschungsfrage und Hypothese(n). Dabei besteht die Operationalisierung aus der Manipulation von Bedingungen (unabhängige Variablen) und davon abhängigen Messungen (abhängige Variablen). In ihrer kürzesten Form kann die Operationalisierung als experimentelles Design zusammengefasst werden. Gemäss der Beschreibung des methodischen Vorgehens werden die Daten zur Überprüfung der Hypothesen erhoben (sog. Datenerhebung).
Nach Abschluss der Datenerhebung werden die Daten aufbereitet und analysiert. Die Datenanalyse ist durch das experimentelle Design determiniert. Somit folgen die Resultate und deren Darstellung dem experimentellen Design und der Datenanalyse. Die Resultate lassen sich dann auf der Basis des experimentellen Designs zusammenfassen und auf der Grundlage der gesichteten Literatur im Sinne einer wissenschaftlichen Diskussion in das bestehende Wissen integrieren. Die Integration der Resultate in das bestehende Wissen liefert die Erkenntnisse, die aus der Studie gewonnen wurden.
Nach Abschluss der Datenanalyse und deren Interpretation, folgt die Kommunikation der so gewonnenen Erkenntnisse. Diese Kommunikation kann mehrere Formen annehmen, wie zum Beispiel die Form eines Artikels in einer begutachteten Fachzeitschrift bei Forscherinnen und Forschern bzw. einer Abschlussarbeit bei Studierenden oder die Form eines wissenschaftlichen Vortrags oder Posters. Der Artikel bzw. die Abschlussarbeit sind die wichtigsten Kommunikationsformen, weil diese primär zur Dokumentation durchgeführter Forschung und somit nachhaltigem Erkenntnisgewinn dienen. Mit der wissenschaftlichen Kommunikation steht der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn wieder neuen Forschungsvorhaben zur Verfügung, womit sich der Kreislauf schliesst. Entsprechend können neue Forschungslücken aufgedeckt werden, womit der Forschungsprozess wieder von vorne beginnt.
Die einzelnen Aspekte im Forschungsprozess hängen alle direkt voneinander ab. Die folgenden beiden Fragen dienen der Orientierung, um alle Abhängigkeiten in einer Studie jederzeit unter Kontrolle zu haben:
- Wie lautet die Forschungsfrage?
- Wie lautet das experimentelle Design?
Wenn ein Aspekt nicht relevant für die Forschungsfrage ist und / oder nicht dem experimentellen Design entspricht, ist er obsolet. Das heisst, alles was im Rahmen einer Studie getan / berichtet wird, muss mit der Forschungsfrage und dem experimentellen Design konsistent sein.
Das Ziel des Forschungsprozesses ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, welche auf gültigen (validen) und zuverlässigen (reliablen) Forschungsresultaten basieren. Valide und reliable Forschungsresultate sind reproduzierbar und replizierbar. Mit Reproduzierbarkeit ist gemeint, dass die wiederholte Analyse eines Datensatzes immer zu den gleichen Resultaten führt. Mit Replizierbarkeit ist gemeint, dass eine unabhängige Wiederholung einer Studie zu den gleichen Befunden führt. Demzufolge sind replizierbare und reproduzierbare Befunde der Grundbaustein guter Forschung. Wenn Befunde nicht reproduziert und / oder repliziert werden können, ist deren Nutzen unklar.